Gesellschaftliche Strukturen ändern sich und mit ihnen das Familienleben. Die SZ hat das Ehepaar Ernst und Anneliese Rupp besucht, um zu erfahren, wie sie ihre Kindheit erlebten - die Welt in Pfullendorf war damals anders.
"Wenn Geld da war", gehört zu den häufigsten Aussagen des 92-jährigen Ernst Rupp, wenn er an seine Kindheit und Jugend zurückdenkt. Er wuchs mit zwei Schwestern und zwei Brüdern im damaligen "Farrenhaus" in der Uttengasse auf, wo Vater Johann, der bei Ernsts Geburt als Soldat im Ersten Weltkrieg war, im Auftrag der Stadt für das Wohl der Zuchtbullen zuständig war. "Eine segensreiche Kindheit hatten wir nicht", sagt er und erinnert sich, dass Geld häufig Mangelware war. Denn was der Vater verdiente, brauchte die Mutter für den Haushalt.
Kartoffeln, selbstgemachte Nudeln und Marmeladenbrot standen deshalb meistens auf dem Speiseplan. Wenn das Geld reichte, gab's auch einmal Schwartenmagen, Schwarzwurst oder eine längsgeteilte halbe Bratwurst, "damit es aussah, als hätte man eine ganze". Am Sonntag gab es Weißbrot oder Gugelhupf. Persönlicher Festtag war in der alteingesessenen Pfullendorfer Familie der Namenstag. Zwar gab es keine Geschenke, aber dafür ein ganzes Spiegelei für den Jubilar allein.
Eine glückliche Kindheit hatten Ernst und seine Geschwister trotzdem: "Man konnte kommen, wann man wollte, die Mutter war immer da." Sorgenzeiten gab es im Haus Rupp nicht nur wegen der ewig klammen Kasse, sondern beispielsweise auch, als die drei Söhne nach ihrer Ausbildung keine Arbeit fanden. "Das war schlimm für unseren Vater, die drei arbeitslosen jungen Männer am Tisch", sagt Ernst Rupp.
Ernst lernte früh, sich mit Arbeiten bei den Nachbarn ein kleines Taschengeld oder eine Süßigkeit zu verdienen. Da wurden Einkäufe für alte Frauen erledigt, Eisstangen im Rupfensack vom Schlachthaus zum Gastwirt geschleppt oder Hundefutter geholt. Auch bei seinem Schulkollegen auf einem Bauernhof in Wattenreute war er gern zu Gast. Dort gab es nämlich immer noch ein deftiges Vesper vor dem Nachhausegehen.
Strickende und flickende Mutter
Wenn bei Rupps Badetag war, wurde der Waschzuber in die Küche gestellt, mit heißem Wasser aus dem Kessel gefüllt und dann saß die ganze fünfköpfige Kinderschar der Reihe nach drin. Im Haus war das Quintett in einem Mädchenzimmer und einem Bubenzimmer untergebracht. "Meine Mutter habe ich nähend, flickend oder strickend in Erinnerung, und uns um sie herum", erzählt Rupp. Lange Wollstrümpfe entstanden dabei beispielsweise, die der kleine Bub im Winter unter knielangen Hosen trug. Auch an seine Kindergartenzeit hat Ernst Rupp genaue Erinnerungen: "Die Kinderschule war dort, wo noch heute der Kindergarten am Obertor ist. Als Klosett hatten wir ein Brett mit fünf oder sechs Löchern und hinten am Haus waren immer die Tiere angebunden, wenn Viehmarkt war." Zur Volksschule ging Rupp, der später eine Schuhmacherlehre absolvierte, im Dominikanerinnenkloster. Für den Schulbesuch durfte er seine Sonntagsschuhe anziehen, die sonst nur dem Kirchgang vorbehalten waren.
Als Spielplatz diente die Straße, die damals noch nicht geteert war, so dass an heißen Tagen das städtische Fuhrwerk unterwegs war, um Wasser gegen den Staub zu spritzen. Gespielt wurde mit Murmeln oder mit dem Ball, sofern die Kinder nicht in den Wald geschickt wurde, um Holz oder Tannenzapfen zu sammeln. Vier Autos habe es damals in der Stadt gegeben, die kaum über die Stadtmauern hinaus reichte, berichtet Rupp, "da brauchte man auf die Kinder nicht aufpassen". Ausflüge oder gar Urlaub kannte die Familie nicht: "Wenn der Vater frei hatte, gingen zum Holzmachen."
Anders sind die Erinnerungen von Anneliese Rupp: "Ich war eine Generation später Kind." Sie berichtet von einem liebevollen und sehr behüteten Aufwachsen gemeinsam mit ihrem Bruder Paul im Haus Kerle in der Pfarrhofgasse. Aber auch in ihrer Familie sei es sehr sparsam zugegangen. Sie erinnert sich jedoch noch, dass sie Puppen, eine Puppenstube und einen Kaufladen als Spielzeug hatte.
Schlittschuhlaufen auf Stadtsee
Anneliese Rupp erzählt vom winterlichen Schlittschuhvergnügen auf dem Stadtsee, der abends sogar von einer Bogenlampe beleuchtet war, und von sonntäglichen Spaziergängen. Mit Vergnügen denkt sie an so manchen Kindergeburtstag zurück, zu dem sie ihre Freundinnen einladen durfte. Ebenso sind ihr die Weihnachtsfeste im Gedächtnis: "Der Vater hat den ganzen Tag die Stube zugeschlossen und zur Bescherung läutete ein Glöcklein am Christbaum." Sie weiß auch noch gut, wo die Mutter die Weihnachtsgutsle versteckte, die alljährlich von der Tante geschickt wurden: "Unterm Bett - und ab und zu haben wir eins aus der Kiste stibitzt."